15.02.2023 – Familie & Partnerschaft
Fatigue und Alltag: ein persönlicher Einblick
Meine MS-Geschichte begann damit, dass ich immer wieder enorm müde war und unter Konzentrationsstörungen litt. Meine Freundin hatte mich damals gedrängt, zum Arzt zu gehen. Zuerst dachten wir an Burnout, da ich mich so ausgelaugt und schlapp fühlte. In dieser Zeit hatte ich viel mit Unverständnis zu kämpfen. Das änderte sich mit der Diagnose vor vier Jahren: Die meisten Menschen in meinem engeren Umfeld wissen inzwischen, dass ich MS habe. Aber auch heute holt mich das Thema Erschöpfung immer wieder ein, denn mein Hauptsymptom ist die Fatigue. Früher war eine 50-Stunden-Woche kein Problem für mich. Heute geht das nicht mehr, deshalb habe ich kürzlich mein Arbeitspensum reduziert.
Ich bin ein Mensch, der auf Zahlen und Fakten vertraut. Nach der Diagnose habe ich mich erst einmal in die Recherche gestürzt, um möglichst viele Informationen über meine Krankheit zu sammeln. Zuerst war ich geschockt, dass es noch keine Heilung für MS gibt. Allerdings habe ich dann erfahren, dass in der Verzögerung der Krankheitsentwicklung große Möglichkeiten liegen – vor allem, wenn man frühzeitig diagnostiziert und therapiert wird.
Mein Alltag mit MS
Morgens brauche ich manchmal schon einige Zeit, um richtig in Gang zu kommen – Müdigkeit und Schlappheit lassen sich nicht immer wegschlafen. Ich stelle mir den Wecker deshalb ein bisschen früher. So habe ich genug Zeit, um richtig wach zu werden. Derweil lese ich in Ruhe die neuesten Nachrichten und gönne mir manchmal auch einen zweiten Kaffee – zu Hause oder unterwegs.
Wenn ich ins Büro muss und meine Aufgaben und das Wetter es erlauben, fahre ich mit dem Rad zur Arbeit. Das hält mich fit und tut auch meiner Stimmung gut. Außerdem verstärkt sich meine Fatigue in stressigen Situationen, wie beispielsweise beim Autofahren. Das ist auch beim Arbeiten so: Die Fatigue verschlimmert sich, wenn ich unter Druck stehe. Wenn ich unter Stress gerate, versuche ich deshalb bewusst, eine kleine Pause einzulegen und ruhig durchzuatmen. Wenn gar nichts mehr geht, mache ich auch mal kurz die Augen zu, um abzuschalten. So konnte ich mich schon über etliche anstrengende Phasen retten.
Außerdem schreibe ich mir zu den anstehenden Aufgaben eines Tages gleich morgens eine Liste und wäge ab, welche Punkte die schwierigsten sind. Und mit genau diesen beginne ich dann. In meinem beruflichen Alltag hat sich das bewährt – und mittlerweile haben sogar einige gesunde Kollegen meine Vorgehensweise übernommen. Eigentlich fahre ich mit dem Fahrrad auch gern wieder nach Hause. Durch die Bewegung an der Luft habe ich häufig mehr Schwung für den Abend. Manchmal lasse ich mich aber auch von Anja abholen – und wenn ich fit genug bin, machen wir einen gemeinsamen Abendspaziergang.
Bei abendlichen Unternehmungen habe ich allerdings manchmal Schwierigkeiten, mich zu konzentrieren oder wach zu halten. Vor meiner Diagnose war das der regelmäßige Anlass für Beziehungsstreitigkeiten. Anja dachte damals, dass mich die gemeinsamen Unternehmungen nicht interessierten. Seitdem die Diagnose MS gestellt ist, versteht sie, dass es die Krankheit ist, die sich bemerkbar macht. Heute versuchen wir Kompromisse zu finden, die uns beiden gerecht werden – und wenn unsere Bedürfnisse mal ganz weit auseinandergehen, geht auch mal jeder seine eigenen Wege. Ich bin sehr froh, dass auch meine Freundin sich für ein Leben mit meiner MS entschieden hat.